Daheim in Amerika

Ein Franke erzählt vom Leben in den USA Ein Buch von Thomas Wittmann

 

Auszug aus Kapitel 15 - American Vacation, oder wie werde ich Melanie wieder los!?

 

„Das Hotel liegt nur ein paar Blocks vom Parkhaus entfernt.“

Nach einer Viertelstunde Fußmarsch checkten wir im Hotel ein. In New York sind Hotels mehr als teuer. Die Zimmer sind klein und man kann von Glück reden, wenn man WC und eine Dusche wenigstens auf dem gleichen Stockwerk hat. So war es auch in unserem Fall. Ein Bad und ein WC für eine ganze Etage. Prost Mahlzeit!

 

Aber wir waren ja bundeswehrerprobt und kamen mit solchen bürgerkriegsähnlichen Zuständen zurecht. Heiko, Kristin und ich hatten keine Probleme mit besagten zahlenmäßig eher unterlegenen Möglichkeiten der Körperpflege. Meine Zimmergenossin war da eher eine Prinzessin und zog es vor, in diesem Haus die Duschutensilien gar nicht erst auszupacken. Egal, dieses Hotel war ja nur für zwei Nächte unsere Bleibe und am dritten Tag bei 28,5 Grad im Schatten würde sie dann schon über ihren eigenen Schatten springen und mit kühlem Nass ihren wertvollen Körper befeuchten. Im Großen und Ganzen hatten unsere Zimmer nichts außer einem Doppelbett, zwei Nachtkästchen, einem Stuhl und einem kleinen Schrank.

Die Sicht aus dem Fenster wurde jäh versperrt durch das ich-weiß-nicht-wie-hohe Nachbargebäude. Eine Backsteinwand stand in greifbarer Nähe zu unserem Fenster. Aber für 150 Dollar die Nacht plus Steuern konnte man ja auch nicht zu viel erwarten. Nachdem wir uns kurz eingelebt und ausgeruht hatten, benutzten manche von uns sogar die Dusche auf dem Gang und machten sich zum Abendspektakulum bereit.

Manhattan am Abend, ganz speziell in der Nacht, gehört wohl mit zu den beliebtesten Plätzen auf der Welt.

Alles ist so herrlich übertrieben amerikanisch. Sogar die Trinkgelder.

Ich kenne keinen Platz in den USA, der mit höheren Trinkgeldern in Prozent aufwarten kann als der Times Square. Hier ist wirklich jeden Tag die Hölle los. New York ist eine Welt für sich. Ein Kollege hatte mir mal gesagt, wie ein New Yorker den Rest der USA sieht: Man stelle sich die USA als Landkarte ohne Staaten vor. Es gibt auf der einen Seite New York und auf der anderen Seite Kalifornien. Alles was dazwischen liegt, sind nur so genannte „fly over states“, also nichts, was da zu erwähnen wäre. An diesem Abend verschlug es uns in eine kleine Bar, in der wir das Abendessen einnahmen.

Dieser Abend war wohl der normalste unseres Roadtrips. Keine besonderen Vorkommnisse, das Essen und Trinken war gut und die Stimmung gelassen und jeder freute sich auf die bevorstehenden freien Tage an der Ostküste. An diesem Abend waren wir alle ziemlich geschlaucht von der langen Autofahrt und wir beendeten den Tag mit einem Feierabendbierchen. Um 23 Uhr waren wir dann alle im Hotel und bereiteten uns auf den nächsten Tag vor.

So alt die Burg auch war, die Betten waren bequem und es schlief sich sehr gut darin. Nicht daran zu denken, wie viele Menschen in diesen Betten schon genächtigt hatten. Unter Umständen waren schon ausgewanderte Vorfahren in diesem historischen Hause untergebracht. Die Nacht verlief ruhig.

Mel roch auch noch nicht streng, obwohl sie sich nicht geduscht hatte.

Ich vermied Körperkontakt und hielt mich stets auf meiner Seite des Betts auf. Für den Fall, dass Mel Pläne für die Nacht hatte, stellte ich mich tot. Es geschah aber nichts. Noch mal Glück gehabt!

Unser zweiter Tag in Manhattan begann prächtig. Es war 8.30 Uhr, die Sonne schien und es hatte bereits 25 Grad. Gemeinsam gingen wir zum Frühstücken ins Starbucks. Meine Devise war klar: Marmorkuchen und einen heißen Kakao. Was anderes kam mir hier nicht in den Becher. Ich brauchte den Zucker, sonst würde ich nicht wach werden. Mel machte auf Öko und kaufte sich einen überteuerten Plastikbeutel voll ungespritzter Früchte. Von Weintrauben über Melonenstückchen bis hin zu verirrten Erdbeeren war in dem Mantschbeutel alles vorhanden. Es folgten die üblichen Kommentare meiner Mitreisenden: „Und es ist ja sooo gesund und da geht es einem ja sooo gut, wenn man das isst..."

 

Nach unserem ersten Frühstück in New York ging es auf Sightseeing-Tour. Wir benahmen uns wie Touristen ersten Grades. Das Grand Central Terminal war die erste Station auf unserem Trip durch Manhattan. Auch irrtümlich als Grand Central Station bezeichnet, ist es ein Muss für jeden, der in dieser Stadt vorbeischaut. Bekannt ist dieser Bahnhof aus zahlreichen Filmen. Die großen Fenster des Bahnhofs erzeugen eine erhabene Stimmung, wenn die Sonne im richtigen Winkel durch die Scheiben trifft. Das Gebäude wurde um 1870 herum erbaut, 1899 erweitert und umgebaut.

Heute ist es eines der meist frequentierten Gebäude in New York. Wir waren Mitfrequentierer. Auch Mel war begeistert und kam auf ihre Kosten, beziehungsweise auf meine. Wir waren gut unterwegs in der Stadt, die niemals schläft und liefen weiter zum Rockefeller Center mit seinen Luxusboutiquen, den zahlreichen Geschäften und Restaurants. Die bekannte Radio City Music Hall befindet sich auch auf dem gleichen Gelände.

Einen längeren Aufenthalt gönnten wir uns im Trump Tower. Der Baulöwe Donald Trump hatte dieses Gebäude im Jahre 1983 errichten lassen. Es hat insgesamt 58 Stockwerke und erreicht eine Höhe von 202 Metern. Das Atrium des Gebäudes erstreckt sich über sechs Stockwerke. Hier gibt es viel zu sehen, zu essen und zu kaufen. Überall Geschäfte, Restaurants und Souvenirläden. Wenn der Amerikaner keine Sehenswürdigkeit hat, dann wird halt eine gebaut. Als wir dieses Gebäude erreichten, ließ es sich unsere kleine Mel nicht nehmen, sich mit dem Türsteher des Etablissements ablichten zu lassen.

Dieser Herr sollte nicht der Letzte auf Mel's Verewigungsliste sein. Es kamen noch mehr New Yorker dazu. Ich zählte Polizisten, Feuerwehrleute, Taxifahrer und Bauarbeiter zu den Opfern, die mit Mel posieren mussten. Ich glaube, wir Deutsche, zumindest wir drei, Kristin, Heiko und ich, waren wohl zu spießig für Amerika. Jeden anzusprechen und Fotos zu machen, das war uns irgendwie fremd. Der Gipfel des schlechten Geschmacks wurde erreicht, als mich Mel bat, mitten auf dem Time Square ein Luftsprung-Foto von ihr zu generieren. Ich weigerte mich und wollte einfach nur noch heim nach Lakewood. Eine unscheinbare Passantin musste dann meinen Job ausführen und Mel in besagter Pose ablichten.

Geschätzte hunderttausend Menschen wussten nun, dass Mel zu uns gehörte.

Langsam dachte ich, es handelte sich um die amerikanische Version der versteckten Kamera. Nach diesem Zwischenfall stand noch der Apple Store auf dem Programm und der Spielzeugladen von FAO Schwartz. Der Apple Store ist kein Obstgeschäft sondern ein exklusiver Laden mit Apple-Produkten. Wenn es ein neues iPhone, iPad oder sonst irgendein „i“-Produkt gibt, wird es wohl vorrangig hier zu finden sein.

Was uns allen gefiel, waren Spielsachen. Spielsachen soweit das Auge reicht, findet man im Geschäft FAO Schwartz.

Sogar unsere guten alten Steiff-Tiere sind hier in rauen Mengen vertreten. Original „Made in Germany“. Was es hier nicht alles gibt. Der nette Herr an der Tür, der sie den Besuchern auch gleich aufhielt, war im Kostüm eines englischen Soldaten zu Queen Mums Zeiten gekleidet. Sie dürfen drei Mal raten, wer sich mit diesem armen Mann nun fotografieren lassen musste. Genau. Unsere Mel schlug wieder zu.

Ein Tag in New York vergeht wie im Flug. Wir machten noch einen kurzen Abstecher zur NYSE, der New York Stock Exchange, also der Börse, um zu sehen, ob denn unsere Millionen Dollar Vermögen auch gut verwaltet werden. Leider wurde uns der Zutritt verwehrt, aber Mel durfte sich zumindest mit den Polizisten dort fotografieren lassen. Hauptsache, Mel war glücklich. Unweit der Börse hielt das Marine Corps eine Werbeveranstaltung ab. Man konnte auch etwas gewinnen. Eine Klimmzugstange war aufgebaut und wenn man seinen Namen und seine Adresse hinterließ, durfte man im Beisein der Masse und der diensthabenden Marines einmal zeigen, was man konnte.

 

Ich nahm die Herausforderung an. Da wurde mir erst klar, was richtige Klimmzüge sind. Nein, man muss die Arme ganz durchstrecken, ansonsten wurde der Klimmzug nicht als solcher gewertet. Ich persönlich zählte schon sieben Bewegungen, aber mein Drillsergant war immer noch bei drei und es wurden auch nicht mehr. Ich wurde darauf hingewiesen, die Arme doch ganz durchzustrecken, dann klappte es auch mit dem Zählen. Die Preise waren vielfältig. Es gab T-Shirts, Trinkbecher und der Trostpreis war ein fünf Zentimeter großer Marines-Logo-Aufkleber.

 

Solch einen Aufkleber hatte ich mir schon immer gewünscht. Nach zehn Klimmzügen musste ich abbrechen. Diese Zahl nannte mir der nette Herr im Tarnanzug. Es reichte gerade so für den Aufkleber. Diesmal waren es Kristin, Mel und Heiko, die sich über meine Akrobatikeinlage amüsierten. Im Nachhinein fand ich es dann auch bedingt lustig. Es lief ab wie im Film. Ich zählte jeden Klimmzug und Herr „Streck-die-Arme-durch“-Drillsergant zählte fünfmal bis drei. Zuerst dachte ich wirklich, der kann nur bis drei zählen, aber es lag dann wirklich an meiner Technik, die Klimmzüge marinegerecht auszuführen.

Als wir die Veranstaltung verließen, spielte ich kurz mit dem Gedanken, mich zu verpflichten, um von meiner Begleiterin loszukommen, aber den Gedanken verwarf ich wieder, da der Dienst an der Waffe schon in Deutschland stattfand und ich eigentlich keinen Bock mehr auf Soldat spielen hatte. Thema abgehakt.

Nach diesem ereignisreichen Tag machten wir uns erst einmal alle, beziehungsweise fast alle, im Hotel frisch und schick für die Nacht.

Zu dieser Jahreszeit ist es bis tief in die Nacht angenehm warm. Wahrscheinlich heizte sich der ganze New Yorker Beton auf und strahlte dann die Wärme in der Nacht wieder aus. Das ist jedenfalls meine Theorie. An diesem Abend gingen wir gemütlich in ein Restaurant, aßen Burger und Sandwiches – die standesgemäße Ernährung in den Staaten. Nach einem schönen Mahl besuchten wir noch eine Bar unweit von unserem Hotel. Das eine oder andere Bier floss hier und wir hatten Spaß. Auch meine Reisebegleitung war sehr angetan von der Gesellschaft, leider nicht von meiner. Sie hatte mittlerweile Kontakt zu einer Gruppe junger Leute aus Brooklyn aufgenommen.

Die fanden Mel ganz toll und boten ihr an, mit auf eine Party in Brooklyn zu kommen.

Ich gab Mel meine volle Zustimmung für diese Aktion, leider ohne zu ahnen, welche Konsequenzen dies nach sich ziehen würden. Mel machte sich also mit einer Gruppe wildfremder Leute auf dem Weg ins nächtliche Brooklyn.

 

Wie ich später dann herausfand, hatte sie weder Geld noch ein Handy dabei (Handys sind kleine Apparate, mit denen man Menschen erreichen kann. Selbst Notfallnummern kosten damit nichts). Heiko und Kristin hatten sich in der Zwischenzeit auch aus unserer kleinen Runde verabschiedet. Übrig blieben ich, ein halb volles Bier und ein wenig Müdigkeit. Nach diesem letzten Bier begab ich mich schließlich auch in unser Hotel. Es war inzwischen ein Uhr nachts und ich dachte, es könne nicht schaden, mal bei Mel anzurufen und mich nach der Lage zu erkundigen. Ich wählte ihre Nummer und es klingelte. In unserem Zimmer klingelte es auch.

 

Der Klingelton kam aus dem Koffer meiner Mitreisenden. Prost Mahlzeit! Das konnte noch lustig werden. Ich hatte keine Möglichkeit, Mel zu erreichen. Sie war irgendwo in Brooklyn mitten in der Nacht und ich war eventuell der letzte Mensch, der mit ihr in Manhattan gesehen wurde.

Mir wurde warm. Egal. Ich konnte jetzt sowieso nichts tun. Ich ging also ins Bett und versuchte zu schlafen. Sie würde schon wieder in einem Stück kommen.

Ich schlief nur schwer ein und dachte lange nach, ob ich nicht einen Fehler gemacht hatte.

So weit hätte es nicht kommen müssen. Ich schlief schließlich unter erschwerten Bedingungen ein. Am nächsten Morgen wachte ich sehr früh auf. Es war sechs Uhr und ich war alleine im Zimmer. Ich schwitzte mittlerweile und meine Kehle war wie zugeschnürt.

Jetzt geriet ich langsam aber sicher in ein Anfangsstadium von Panik

 

 

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